Heute Nacht habe ich von Lebensmittelverschwendung geträumt. Wie in fast allen meinen Träumen war ich mit dem Zug unterwegs und bin unfreiwillig in irgendeinem entlegenen Bahnhof im Nirgendwo gestrandet (Was die Freudsche Traumdeutung wohl dazu sagen würde? Dass ich nicht normal bin, ist irgendwie nichts Neues). Tja, da war ich nun. Es war dunkel, fast Nacht, und ziemlich verlassen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinsollte, war vollkommen orientierungslos. Da erkundete ich die Bahnhofsgegend und fand mich auf einmal in einem Supermarkt wieder. Erleuchtet, die Ware noch üppig, bunt und hübsch sortiert, wie mensch das so kennt, und keiner da. Ich lief so herum, hatte nicht die Absicht, etwas zu kaufen, aber Rumgucken ist spannender als draußen zu warten.

In diesem Supermarkt war eine Angestellte, etwa in meinem Alter, gerade dabei, Kartons zu verräumen. Normalerweise bin ich da nicht so kontaktfreudig, aber manchmal schon, ich fragte sie: Was passiert eigentlich mit den Lebensmitteln, die übrigbleiben. Sie sagte geradeheraus: die werden weggeworfen. Oh, so eine spontan ehrliche Antwort hätte ich da nicht erwartet – der erste Gedanke. Der zweite: so ein Mist.

Mein Traum spiegelt die Realität wieder. Wir sollten uns keine Illusionen machen.
Natürlich werden die meisten von uns schon fast ein bisschen zu viel mit Zahlen bombardiert, um im Einzelfall immer die Muße aufzubringen, sich die Dimensionen achtsam durch den Kopf gehen zu lassen. Trotzdem – im Fall Lebensmittelverschwendung finde ich die vorhandenen Statistiken einfach zu plastisch. Bevor ich mich damit befasst habe, hatte ich keine Ahnung, was für ein Ausmaß das Problem hat:

Weltweit werden jährlich 4 Milliarden Tonnen Lebensmittel produziert.
Davon werden1,3 Milliarden Tonnen weltweit jedes Jahr verschwendet. Das ist fast ein Drittel. In den Industriestaaten handelt es sich dabei zu 40% um völlig genießbare Lebensmittel. Mehr als ein Fünftel der weltweiten Treibhausgasemissionen könnten wir vermeiden, reduzierten wir die Lebensmittelverschwendung um 80%.

Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen? Kaum vorstellbar. Zum Vergleich: in Deutschland machte 2015 der Verkehrssektor auch knapp ein Fünftel (18%) der Treibhausgasemissionen aus. Der gesamte Verkehrssektor CO2-neutral gemacht, so darf ich mir also vorstellen, wie es sich auswirken würde, keine Lebensmittel mehr zu produzieren, deren einziges Ziel die Mülltonne ist.

Alle sind daran beteiligt. Ich kann öfter mal dieses Ping-Pong-Spiel beobachten von wegen: Die Industrie ist Schuld, weil sie das Angebot bestimmt – die Verbraucher sind Schuld, weil sie die Nachfrage bestimmen. Kann es sein, dass wir diese Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nicht reduktionistisch, sondern ihrer Komplexität angemessen begreifen müssen? Okay, klingt etwas klugscheißerisch, ich meine nur, dass es abgesehen von der „richtigen“ Erklärung einfach bestimmte Herangehensweisen an solche Probleme gibt, die es uns einfacher machen, zu handeln. Und hier würde ich, wie bei den meisten Umweltthemen, sagen: Wir können mitgestalten.

Lebensmittelverschwendung fängt auf dem Acker an, wo nicht normgerechte (zu groß, zu klein) oder ästhetisch nicht ansprechende Früchte und Gemüse einfach nicht geerntet werden. Auch beim Transport und in der Verarbeitung passieren Verluste (in ärmeren Ländern macht das einen größeren Anteil der Abfälle aus, hier passiert die Verschwendung eher im Handel und bei den Konsumenten). Dann schmeißen auch die Supermärkte, Bäckereien, die Gastronomie teils unglaubliche Mengen an Lebensmitteln weg. Zum Teil, weil sie sich verkalkuliert haben, auch, weil bis Ladenschluss die gesamte Auswahl da sein soll (angeblich wollen die Kunden es so, da hab ich jetzt keine Umfragedaten zu gelesen), zum Teil ist wird das einfach als normal angesehen und in die Buchhaltung mit einberechnet. Und schließlich die Konsumenten, die wir ja alle sind, außer wenn wir uns selbst versorgen – jeder Mensch in Deutschland verschwendet wohl 82 Kilo genießbare Lebensmittel pro Jahr.

Es ist einfach nur verrückt, und nachdem ich den Film „Taste the Waste“ gesehen habe, oder sogar nur den Trailer, musste ich weinen, weil ich das einfach nicht verstehen konnte. Sorry, aber ich muss noch einen Fakt loswerden: Allein die 300 Millionen Tonnen Lebensmittel, die jährlich in den Industrienationen weggeworfen werden, würden ausreichen, um die 870 Millionen hungernden Menschen auf der Erde satt zu machen.

Zum Glück empfinden nicht wenige eine himmelschreiende kognitive Dissonanz – und tun etwas!
Ich bin superglücklich, dass es die Foodsharing-Bewegung (neben vielen anderen Initiativen) gibt und dass sie einfach immer größer wird und zurzeit so gut funktioniert. Ich selbst bin auch dabei, als Foodsaver, und hole ab und zu die Lebensmittel ab, die die Supermärkte nicht mehr verkaufen können. Manche Supermärkte haben sich da echt Mühe gegeben, besser zu kalkulieren, und es bleibt pro Tag nur ein kleiner Karton voll etwas welkem Gemüse übrig. Naja, bei manchen sind es eher noch zwei Einkaufswagen voll (die Dimensionen sind einfach krass). Und leider machen viele Betriebe noch gar nicht mit. Aber hey, das Thema ist glücklicherweise schon etwas ins kollektive Bewusstsein gerückt. Es gibt öffentliche Kühlschränke von Foodsharing, sogenannte Fairteiler, und überhaupt, eine engagierte und verantwortungsvolle Community ist das. Übrigens braucht glaube ich niemand Angst haben, dass die Wirtschaft zusammenbricht, weil „alle vom Überfluss leben“ und keiner mehr Einkaufen geht. Supermärkte, die nicht dreißig Kilo Lebensmittel pro Tag übrig haben, funktionieren auch prima. Außerdem wird nicht jeder Mensch Foodsaver. So schön es auch klingt, gratis Lebensmittel zu bekommen, ich finde die Sache manchmal eher ganz schön anstrengend. Wo werde ich bitteschön fünf schon leicht welke Salatköpfe los?? Oder eine riesige Tüte Brötchen??? Ahhhh. Der pure Stress.

Keine Ahnung, wie andere das machen, dass bei mir etwas übrigbleibt, ist so ziemlich die Ausnahme. Vielleicht liegt es an gewissen Ängsten. Ich habe Angst, den Überblick zu verlieren, und kaufe deshalb relativ wenig ein. Und checke immer mal wieder, was da ist und wie frisch es noch ist. Ich hab außerdem Angst vor Pilzen (seltsam, ich weiß, gibt es aber, Mykophobie), was Angst vor Schimmel mit einschließt. Das macht das Vergammelnlassen von Essen zusätzlich aversiv. Und wenn da mal etwas ist, was ich nicht mag, versuche ich, es irgendwie loszuwerden und weiterzugeben. Mit so einem öffentlichen Kühlschrank in der Nähe ist das ganz praktisch – auf der Seite von Foodsharing kann mensch sehen, wo die sind, und natürlich geht es auch, etwas Übriggebliebenes als Essenskorb online zu stellen, dann kommt jemand und holt es ab. Hab ich auch schon gemacht, funktioniert. Auch was die krummen Gurken und knotigen Kartoffeln angeht, gibt es inzwischen Initiativen, die solches Gemüse wieder auf den Teller zurückholen wollen. Schmeckt schließlich genauso gut, wie das perfekt aussehende Zeugs, das können wir unserem Instinkt beibringen.

Ich meine, es sind Lebensmittel, Mittel zum Leben. Vielleicht mussten wir nie hungern und wissen sie deshalb nicht zu schätzen, vielleicht können wir Menschen generell nicht mit scheinbarem Überfluss umgehen. Kann sein. Aber mich motiviert nicht nur das: Ich muss daran denken, was alles dazugehört, unsere Nahrung herzustellen. Ich habe schon selbst Gemüse angebaut, und letztendlich kommt ja all unser Essen, auch wenn wir es ihm vielleicht nicht mehr ansehen, irgendwo von einem Feld. Diese Erfahrung: den Boden prüfen und vorbereiten… überlegen, was wo wachsen soll… das Aussähen… das Gießen, hacken, Unkraut jäten, Insekten absammeln… und das Gemüse am Ende: so viel kondensierte Lebenszeit! Wasser, Boden, Fläche noch dazu. Wow. Photosynthese. Die Atome, die mein Körper in sich selbst einbauen wird. Das ist das, was ich esse.

Ich möchte von diesen aufwändig produzierten Dingen nichts verschwenden. Sich dafür ein bisschen zu organisieren, mag etwas Mühe kosten. Werfen wir etwas in den Müll, haben wir uns der Verantwortung entledigt, aus einem übriggebliebenen Lebensmittel noch etwas zu machen oder es weiterzugeben. Aber diesen kleinen Aufwand ist es mir wert.

Ich hab ein paar Links und Quellen für dich: