Stellen wir uns vor, ich bekäme eine Einladung zu einer WG-Party, mit der Aufforderung, Suff mitzubringen (so bereits geschehen!). Suff, ich weiß gar nicht genau, was das ist, weil ich so ziemlich nie Alkohol trinke (das hat viereinhalb Gründe).
Ich male mir aus, wie ich klugscheißerisch sage: Ich bringe keinen Suff mit, sondern Suffizienz – um dann mit leeren Händen auf der Party anzukommen, aber einen kleinen Vortrag über Postwachstumsökonomie bereit zu haben. Eine WG-Party mit Science Slam, das wäre doch was!
Aber nun ja, das traue ich mich dann doch nicht, denn so sozial will ich ja sein, dass ich etwas zur Party mitbringe (dann eben keinen Suff). Und überhaupt, Suffizienz (ein anderes Wort wäre „Genügsamkeit“) heißt nicht gleich Verzicht! Aber was heißt es dann?

Öhm… *im Gedächtnis kram*…
Fangen wir einfach mal an mit dem JETZT. Ich sitze hier so herum, vor mir ein Laptop mit weißen Tasten (und in der Ferne miaut es). Ich habe zwei Europaletten zusammengeschoben und ein altes Bettlaken drübergeworfen. Darauf sitze ich gerade. Und um mich herum… dumdidum… der Kapitalismus! Oh ja.
Wir wissen alle, dass das die Bezeichnung ist für die Ära, in der wir leben. Wenn ich etwas zu Essen brauche, gehe ich in den Supermarkt; ich habe die Freiheit, solange ich Geld habe, mir wenn ich will alles, ja schon irgendwie alles (also nicht „alles“, aber ihr wisst schon) zu kaufen. Ich habe die Freiheit, Wärme und Strom zu nutzen, soviel ich möchte. Warum eigentlich?
Ich weiß es auch nicht genau, denn wenn ich einen Blick auf die globale Ökosphäre werfe, stelle ich fest, dass wir (ich gehe z.B. von Deutschland aus) „auf Pump“ leben, also mehr Ressourcen verbrauchen, als die Erde wiederherstellen kann. Es geht nicht nur um Peak Oil, sondern um Peak Everything – auch Phosphate, seltene Erden, Ackerfläche und die Kapazität der Erde, CO2 und anderen „Industrieabfall“ aufzunehmen, sind Dinge, die begrenzt sind. Die Ressourcen schrumpfen also, doch unser Wirtschaftssystem basiert auf Wachstum – Wachstum um jeden Preis, als Grundlage für den Wohlstand. Wie funktioniert das? Also, unendliches Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen? Mein Fazit einigen Nachdenkens: Gar nicht.

Vermutlich weiß ich mehr über, sagen wir, Tomatenanbau als über das kapitalistische Wirtschaftssystem. Ich kenne aber eine Strategie der Wachstumsförderung ganz gut, nämlich die, Menschen dazu zu bringen, mehr zu konsumieren. Das kann zum Beispiel durch geplante Obsoleszenz geschehen: Die Dinge werden absichtlich so konstruiert, dass sie schnell kaputtgehen und schlecht reparierbar sind. Viele kennen das Argument: Ach, eine Reparatur lohnt sich nicht, kauf dir doch einfach ein neues Ding. Und leider habe ich oft keine Ahnung, wie die komplizierten Dinge, die mich umgeben, konstruiert sind und kann nicht selber Hand anlegen, wenn etwas kaputt ist. Doch wie viele Ressourcen stecken darin, gerade in technischen Geräten, wie viel Energie! Ich muss diese Ressourcen und diese Energie einfach sehen, wenn ich ein Gerät sehe. Mir eines zu beschaffen oder eines wegzuschmeißen ist für mich deshalb mit gewissen psychologischen Hürden verbunden (zum Glück gibt es inzwischen Repair-Cafés, auch wenn ich noch nie eines besucht habe).
Es gibt auch eine psychische Obsoleszenz, die einfach ausgedrückt unser Bedürfnis beschreibt, auf die neuesten Trends aufzuspringen, wodurch die „alten“ Dinge, die wir besitzen, ihren Wert verlieren. Bei Kleidung lässt sich das gut beobachten: wenn bei manchen Labels zwölf Kollektionen im Jahr erscheinen, übersteigt das ziemlich meine Vorstellungskraft. Ich frage mich: Wozu brauchen wir diese zerstörerische Fast Fashion, wozu kauft jede Person in Deutschland statistisch gesehen 60 Kleidungsstücke im Jahr, wo es doch längst genug produzierte Klamotten für alle in unmittelbarer Umgebung gibt? Kleider machen Leute, ja – aber eine Konsumgeschwindigkeit in diesem Ausmaß finde ich schlicht absurd.

Von dem Philosophen Diogenes, der im antiken Griechenland lebte, heißt es, dass er in einer Tonne wohnte und nichts besaß außer einem Umhang, einem Stock und einem Brotbeutel. Das war sicher eine sehr klimafreundliche Lebensweise, aber um gewissen natürlichen Verzichtsaversionen zuvorzukommen muss ich betonen, nein, wir müssen nicht alle wie Diogenes leben, um die Lebensfähigkeit des Planeten zu erhalten.
Was ich aber interessant finde: Diogenes war glücklich!

Und das wiederum hat etwas mit Suffizienz zu tun (ja, genau, Glück!). Wahrscheinlich ist das den meisten sowieso klar, jedenfalls besagen psychologische Modelle, dass der Grad der Zufriedenheit, wenn ein gewisses Niveau an materiellem Wohlstand erreicht ist, mit zunehmendem Wohlstand nicht mehr steigt. Als so furchtbar wohlhabend und ergo von diesem Modell betroffen sehen die meisten von uns sich wahrscheinlich nicht – trotzdem glaube ich, dass dieser Zusammenhang auch auf individueller Ebene Sinn macht. Denn, wenn wir vom Wachstumsparadigma ausgehen, wäre das wirtschaftliche Wunschszenario anscheinend in etwa, dass wir so viele Konsumhandlungen wie möglich in unserem 24-Stunden-Tag unterbringen. Was der Postwachstumsökonom Niko Paech dazu sagt, finde ich an dieser Stelle ganz schlüssig: Nämlich, dass die Freude und der Genuss, also die Gefühle, die wir mit dem Konsum erreichen wollen, ja ein gewisses Maß an Zeit brauchen. Wenn ich für mich spreche, kann ich sogar sagen, der Genuss ist umso größer, je mehr Zeit ich dafür habe! Und ob wir empfinden, viel Zeit zu haben oder wenig, ist wiederum eine so subjektive Sache, aber das ist schon wieder ein neues Thema…
Zumindest scheint an dieser Theorie von Suffizienz und Glück irgendetwas dran zu sein, wenn ich mir die aufkeimende Minimalismusbewegung anschaue. Zu Suffizienz gehört auch, Dinge zu teilen (Teilen sich drei Nachbarn einen Rasenmäher, müssen zwei Drittel weniger Rasenmäher hergestellt werden, toll, ne?), und auch diese Idee erlebt eine beginnende Ausbreitung. Cool finde ich da zum Beispiel Aufkleber für den Briefkasten, auf dem zu sehen ist, was ich meinen Nachbarn gerne alles ausleihe (eine Leiter, eine Bohrmaschine usw.). Auf die wundersamen Dinge, die in unserer Gegenwart erfunden wurden, müssen wir also nicht verzichten – vielmehr verlagern wir den Umgang mit ihnen auf „Nutzen statt Besitzen“.

Für mich persönlich merke ich, dass mir einerseits ein (zumindest in den meisten Bereichen) genügsamer Lebensstil gefällt, aber ich sehe auch, dass anderen diese Ideen nicht so zusagen. Niko Paech begründet Suffizienz als eine Säule der Postwachstumsökonomie sehr gut, aber insgesamt finde ich es doch ziemlich schwer, Suffizienz zu kommunizieren. Das Stichwort „Reduktion“ ist dann eben doch mit „Verzicht“ und „Verbot“ assoziiert und es ist nicht so leicht, den kognitiven Rahmen umzubauen. Psychologisch gesehen hat das auch den einfachen Grund, dass ein gleichwertiger Verzicht einen größeren negativen Ausschlag auf dem Gefühlsbarometer verursacht, als den positiven Ausschlag, den ein gleichwertiger Gewinn verursacht – Verzichte wiegen also schwerer als Gewinne.
Ich finde gar nicht, dass ich wenig besitze, aber immerhin komme ich ohne Staubsauger, Auto, elektrische Zahnbürste, Fernseher, Stereoanlage, Mikrowelle, Alufolie, Wäschetrockner, Fön, WC-Reiniger, Stabmixer, E-book, Frischhaltefolie, Fleisch, Wattestäbchen, Strohhalme und Collegeblock aus. Es reicht mir meistens, Bücher auszuleihen statt zu besitzen, und Kleidung kaufe ich fast ausschließlich gebraucht oder suche sie mir aus Umsonstkisten oder auf Kleidertauschparties.

So rein rational betrachtet – wollen wir nicht alle glücklich sein? Wenn Diogenes beweist, dass man dazu nicht zwingend irgendetwas besitzen muss (naja, so eine Tonne wäre schon gut), woher kommt das Glück dann? Es ist so schräg, weil wir eigentlich alle wissen, wie diese Zusammenhänge sind. Dass es uns manchmal dann am besten geht, wenn wir mit nicht mehr als einem Rucksack in der Natur sind und uns auf die Wiese legen und träumen dürfen. Dass uns unser Besitz eigentlich oft Stress bereitet, dann nämlich, wenn etwas kaputt geht und wir uns darum kümmern müssen, oder wenn wir eine Verwendung für etwas finden müssen, das wir nicht mehr brauchen, oder wenn wir alles mit einem Staubwedel abstauben müssen, oder wenn wir ein Auto mieten, um Kisten über Kisten hinenzustapeln beim Umziehen, voller Dinge, die wir über Jahre nicht benutzt haben.
Gerade vor diesem Stress, vor der Überforderung, vor der Reizüberflutung und davor, den Überblick über meinen Besitz zu verlieren, ängstigt es mich. Deshalb habe ich es sehr gern übersichtlich. Ich glaube auch insgeheim, dass wir, wenn wir das mit der Klimagerechtigkeit zu Ende denken, keine andere Wahl haben, als unseren immensen Ressourcenverbrauch zu reflektieren. Aber davor müssen wir keine Angst haben. Viele Dinge werden schließlich auch so bleiben, wie sie sind, und was sich verändert, kann gleichzeitig im Zuge der Selbstfürsorge geschehen.

 

Empfehlen kann ich das Buch „Befreiung vom Überfluss“ von Niko Paech. Oder du schaust dir einen seiner Vorträge im Internet an.