Wart ihr schon einmal auf einem Kompostklo? Es ist ein tolles Erlebnis! Wenn mensch genug Sägespäne nachkippt, ist der Geruch sogar okay. Klar, das „flutsch und weg“-Erlebnis bei einem Wasserklo ist auch eine feine Sache. Aber kompostieren geht eben auch.
Ja, ich war auf dem Klimacamp im Leipziger Land. Es gibt ein Dorf dort, das Pödelwitz heißt. Es liegt direkt an einem Tagebau, die großen Türme des Braunkohlekraftwerks sind ganz in der Nähe, unentwegt quillt weißer Dampf daraus hervor. Und unsichtbares CO2. Ein Kilo CO2 pro Kilowattstunde Strom, die gewonnen wird, damit hat Braunkohle die schlechteste Bilanz von erzeugtem Strom und dabei freigesetzen Treibhausgasen unter den Brennstoffen (Ich weiß, man kann Energie nicht „erzeugen“ – an dieser Stelle ist das bildlich gemeint).
Über das Klimacamp könnte ich so unendlich viel schreiben, aber was mich besonders berührt, das sind die Leute in Pödelwitz. Von 130 Bewohnern sind nur noch 27 geblieben, denn der nahe Tagebau soll erweitert werden, das Dorf soll weichen und abgebaggert werden. Die meisten Häuser hat die Mibrag, das lokale Bergbauunternehmen, schon gekauft. Leere Fensteraugen blicken über den Dorfplatz, weiße Schilder weisen die Grundstücke als Besitz der Mibrag aus. Mich hätte bei meiner Ankunft in Pödelwitz also ein Geisterdorf erwarten können. Doch dem war nicht so – stattdessen sah ich so viele Farben, so viel Leben! So viele Kompostklos!!!
Die Menschen in Pödelwitz haben sich tatsächlich getraut, eine Horde Klimaaktivist*innen in ihr Dorf einzuladen. Menschen, die Zelte in ihren Gärten aufschlugen, die vegan kochten, die Strom aus eigenen Solarpanels bezogen, die Hängematten zwischen den Bäumen auf dem Dorfplatz vor der Kirche aufhingen.
Ich war total erfreut. Die Klimacamps im Rheinland, wo ich die letzten Jahre war, wurden meist auf einem Feld irgendwo im Nirgendwo (in der Nähe eines mondlandschaft-artigen Tagebaus) aufgebaut. Mir war oft ein wenig unwohl dabei, denn mit so tausend Leuten ist es auf dem Camp ziemlich voll und wuselig, da bekomme ich den natürlichen Impuls, mich mal zurückzuziehen – doch wenn drumherum „nichts“ ist, ist das schwierig. In einem Dorf gibt es immerhin viele Nischen und Ecken, in denen ich mich verstecken kann – juhu!
Außerdem hat mich bei anderen Camps oft ein unangenehmes Gefühl beschlichen: Es war so weit entfernt von bewohnter Gegend, ein in sich geschlossen wirkendes „Ökodorf“, in dem Umweltschützer*innen unter sich waren und einander in ihren Weltbildern bestärkten. So in einer Blase zu sein fühlt sich für mich nicht richtig an, denn schließlich ist die Klimabewegung nichts weltfremdes, ist nicht nur für weit weg wohnende, vom Klimawandel betroffene Menschen da (obwohl das an sich schon wichtig genug ist), sondern auch für die Menschen vor Ort. Ja, auch für die Menschen, die bei den Bergbauunternehmen arbeiten. Es ist kein versponnener Idealismus (manche mögen das so finden, doch meiner Erfahrung nach basiert der Großteil der Klimabewegung und ihrer Forderungen auf Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen).
In Pödelwitz hatte ich nun die Gelegenheit, das auch zu fühlen. Am Sonntag, als ich ankam, gab es ein großes Dorffest zusammen mit dem Klimacamp (das Camp und das Dorf waren sowieso eins gerade). Musiker zogen zwischen den Workshop-Zelten umher, Pödelwitzer brachten Kuchen, andere machten vegane Soli-Crêpes. Das Dorf sah im übrigen wunderschön aus mit den ganzen bunten Wimpeln, die zwischen den Häusern gespannt waren – die Wimpel wurden in ganz Deutschland gesammelt, auf ihnen stehen Sprüche gegen Kohlekraft und für saubere Energie und eine schöne Zukunft für alle…
Pödelwitzer wurden ins Hauptzelt eigeladen für eine Podiumsdiskussion… und wenn ich in den nächsten Tagen barfuß durch das Dorf lief, waren die Bewohner*innen immer total freundlich. Das finde ich so toll: Wenn Kulturen aufeinandertreffen und wir einander trotzdem so freundlich gesinnt sind, weil wir wissen, dass wir einander gerade unterstützen.
Ich möchte nicht, dass dieses Dorf abgebaggert wird. Das liegt nicht nur an den netten Menschen, an der hübschen Kirche, den Obstbäumen und dem nahen See. Es ist auch einfach kompletter Unsinn. Der schon vorhandene Tagebau liefert sowieso noch Kohle bis 2040. Bis dahin sollte der Kohleausstieg schon größtenteils abgeschlossen sein! Zumindest, wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen – und was wäre die Alternative? (Jeder Therapeut würde nun sagen: Dysfunktional! Hochgradig dysfunktional!!)
Das Argument mit den Arbeitsplätzen, das Kohle-Befürworter oft anwenden, wird zwar aus meiner Sicht eher instrumentell gebraucht, um einerseits der Pro-Kohle-Einstellung eine moralische Legitimation zu geben und andererseits die Forderungen nach einem Kohleausstieg mit dem Attribut „unsozial“ zu versehen… so zumindest fühlt es sich an. Blöderweise lässt sich dagegen nicht so leicht etwas sagen, weil eben doch ein Körnchen Wahrheit darin steckt (es arbeiten nun einmal Menschen für Bergbauunternehmen).
Doch wenn wir eine Welt mit Klimawandel betrachten, der mit einer Kohleverheizung wie bisher vielleicht 6°C Erwärmung bedeuten würde – in so einer Welt würden enorm viele Meschen nicht nur ihre Arbeit, sondern ihre gesamte Existenzgrundlage verlieren! Enorm viele und nicht nur solche, die weit weg sind.
Weil ich den Klimaschutz so dringend finde und wegen des Arbeitsplätze-Argumentes deshalb oft wütend werde, bin ich dann versucht zu erwidern: „Krieg schaftt auch Arbeitsplätze!“.
„Arbeit“ an sich ist eben kein Selbstzweck, sondern sollte dem Gemeinwohl dienen.
Aber natürlich ist es schlimm, die eigene Arbeit zu verlieren! Wenn die Tagebaue zumachen, werden die meisten im Bergbau beschäftigten wohl sowieso im Rentenalter sein, meinten manche auf dem Klimacamp. Die, auf die das nicht zutrifft, sollten natürlich die Möglichkeit bekommen, ihr Fachwissen weiter für etwas Wichtiges einzusetzen, mit angemessener Bezahlung und Wertschätzung. Ich weiß nicht genau, wie man das macht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das Wissen der Menschen, die jetzt im Bergbau arbeiten, irgendwo sehr nützlich sein kann. Es wäre so toll, wenn wir in Sachen Klimaschutz alle an einem Strang zögen. Und eben so, dass das Ganze sozialverträglich wird. Hmm.
Was noch? Was ging mir noch durch den Kopf auf dem Klimacamp? Sofern meine Gehirnmasse nicht als geschmolzenes, heißes Ursüppchen vor sich hin schwappte…
Es waren so viele tolle Leute da. Menschen, in Alter, Geschlecht, Beruf, Ethnizität durcheinandergewürfelt. Es ging viel um Bildung. Große Zelte gab es, in denen ich Workshops und Kursen lauschen konnte (wobei, soviel Lauschen war auch nicht drin, es war ziemlich partizipativ!). Eine Gruppe baute fünf Hochbeete auf. Es gab Siebdruck. Fast immer saß irgend jemand herum und bemalte ein Banner. Ich konnte mich zu irgendeiner Person setzen, wenn ich wollte, und diese ansprechen. Es gab unheimlich cooles veganes Essen, gekocht in riesigen Töpfen – ganz schön verrückt, in diesen Töpfen Reis so zu kochen, dass er lecker und gar wird, irgendwie (ich finde das ja schon auf einem normalen Herd schwierig). Und lange Schlangen. Und Desinfektionsmittel. Es war überhaupt alles sehr sauber – die Hände der Menschen wie die Flächen auf dem Camp. Was ich ganz toll finde, sind die Mitmachstrukturen: Das Camp trägt sich durch den freiwilligen Einsatz der Teilnehmer*innen. Da gibt es Listen zum Eintragen und ziemlich schnell erklären sich genug Menschen bereit, die Nachtschicht zu übernehmen, Müll zu sammeln, die Klos zu putzen, die Kinder zu hüten, den Infostand und die Bar zu betreuen. Selbst beim Abwaschen (na, wer hat schon mal per Hand für tausend Leute abgewaschen?) war es manchmal fast schon schwierig, mitzuhelfen: Ich geh hin und frage, ob jemand abgelöst werden will, und die Leute sind aber noch nicht lange dabei und hochmotiviert. Tja…!
Bei der Aktion zivilen Ungehorsams, der Sitzblockade, war ich nicht dabei – es war mir schlicht zu heiß und ich war von fast einer Woche Klimacamp schon so von Eindrücken überladen, dass ich kaum darauf klarkam. Es lief aber alles gut. Schließlich sind Aktionen, die von Klimacamps ausgehen, ausdrücklich friedlicher, gewaltfreier Art. Da lässt man sich bei so einer Sitzblockade eben wegtragen (im Hocken, das hätte ich zugegebenermaßen auch gern mal erlebt).
By the way, mir fällt nie ein, wie ich einen Blogbeitrag eigentlich stilgerecht beenden soll.
Was soll’s: Climate justice now!
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