Es gibt eine Reihe nicht-neurotypischer Menschen: AD(H)Sler, Autist*innen, Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen mit Problemen der sensorischen Verarbeitung, Menschen, die auf tägliche Routinen angewiesen sind. Mal so ganz ungefähr.
Ich war etwa fünf Jahre in verschiedenen Greenpeace-Gruppen aktiv und habe bemerkt, dass es in diesen Gruppen überproportional viele solcher nicht-neurotypischen Menschen gibt. Oder naja, ich habe nicht nachgezählt, ob es signifikant ist.


Aber exzentrische Gestalten sind schon immer irgendwie dabei. Mehr als in der Schule damals. Inklusive verschiedener sexueller Orientierungen und Haarfarben. Ich habe begonnen, mich zu fragen, ob es da einen systematischen Zusammenhang gibt: Neigen Menschen, die ein wenig von der Norm abweichen, eher dazu, sich aktiv für die Umwelt einzusetzen? (Oder umgekehrt?)

Ich könnte das erforschen (ich brauche endlich ein paar Daten, um meine Kenntnisse in deskriptiver Statistik ausprobieren zu können), aber ein anderes, verwandtes Thema scheint mir im Grunde genauso spannend zu sein und vielleicht noch ein wenig nützlicher. Es ist dies: Wie leicht oder schwierig ist es eigentlich für Menschen mit psychischen Besonderheiten, sich umweltschützend zu verhalten? Was für Hindernisse gibt es da? Wie könnte mensch es ihnen erleichtern?
Die Frage kommt mir immer wieder auf, wenn ich merke, dass bestimmte Verhaltensweisen doch echt anstrengend für mich sind. Aber ich setze alle meine Energie da rein, weil mein Idealismus das meiste Zögern á la „oohh, zu anstrengend“ niederwalzt. Und ich habe noch vergleichsweise wenig Probleme.
Umweltschutz kann Spaß machen. Es kann eine Identität stiften. Es kann Sinnerfahrungen generieren. Es kann Zugehörigkeit bieten. Ich stelle mir vor, dass viele sich das wünschen – dass es viele Menschen gibt, die sich um die Umwelt sorgen und sich besser fühlen würden, wenn sie etwas Konkretes tun könnten. Ja, ich weiß, ich bin gutgläubig. Umweltschützendes Verhalten ist aber auch eine Frage der Möglichkeiten, der Verhaltensangebote – auch dann noch, wenn mensch sehr sehr dolle etwas tun will.

Ich habe einfach mal eine Liste gemacht, was mensch so allgemein für die Umwelt tun kann und welche Schwierigkeiten Autist*innen und AD(H)Sler mit den jeweiligen Verhaltensweisen haben könnten – und welche Möglichkeiten es gäbe, diese Schwierigkeiten zu lindern.
Drei Kategorien erschienen mir besonders relevant für das Thema: Ernährung, Mobilität und „Aktiv werden“.

Zunächst Ernährung: Kontrovers, kompliziert, aber durchaus relevant für das Weltklima. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass vegan am klimafreudlichsten ist, selbst dann noch, wenn mensch sich nicht sehr regional ernährt (Dadurch bleibt Regionalität aber trotzdem wichtig!). Auch dann schon, wenn wenigstens auf Fleisch verzichtet wird oder generell tierische häufiger durch pflanzliche Lebensmittel ersetzt werden, hat das einen netten Effekt auf die eigene Ökobilanz (soll heißen, wenn du nicht 100% Veganer*in, sondern 87% Veganer*in bist, bist du auch schon cool).
Aber was heißt es eigentlich ganz praktisch, sich vegan zu ernähren? Natürlich kommt das auch darauf an, wie mensch wohnt, ob in der Nähe eines veganen Supermarktes oder nicht, aber ich finde dann doch, vegan heißt, zumindest sollte ich rudimentär kochen können. Ja, Kochen. Dieses komplexe chemische Experiment, das ich jeden Tag durchführe, eine verschachtelte, zeitlich getaktete, kontrollierte Denaturierung mit Zuhilfenahme organischer Gebilde verschiedener Aggregatzustände. Im Ernst, ich finde es schon anstrengend, mehr als einen Topf zu überwachen. Es gibt Menschen mit eingeschränkten Exekutivfunktionen (plakativ ausgedrückt „AD(H)S-Chaot*innen, die selten etwas fertig bekommen“), und ich finde, Kochen benötigt ziemlich viele Exekutivfunktionen. Wenn jemand mit solchen Problemen sich vegan ernähren möchte, würde ich empfehlen, sich die ein oder andere Kochstrategie auszudenken. Sprich: Einfache Rezepte/Routinen, die funktionieren, egal, was gerade zu Hause ist, die in einem einzigen Topf funktionieren, wo mensch im Idealfall einfach Gemüsekram und so hineinwirft, eventuell einen Timer stellt, und tadaa, das Reaktionsprodukt ist schmackhaft.
Vegan heißt auch, dass die Auswahl oft eingeschränkt ist, zum Beispiel, wenn ich irgendwo unterwegs bin und akut etwas brauche. Da gibt es nun die Möglichkeit, einfach irgendetwas zu nehmen, Hauptsache es ist vegan – aber was, wenn ich außerdem noch eine Reihe von Kriterien habe, die mein Essen erfüllen muss? Bei mir ist das nicht ganz so ausgeprägt, aber ich weiß, dass Autist*innen oft nur bestimmte Dinge essen oder viele Lebensmittel wegen unangenehmer sensorischer Eigenschaften vermeiden. Da bleibt dann noch die Option, sich etwas zu Hause vorzubereiten und es mitzunehmen. Huh, ich will es tun, ich will es mir echt angewöhnen! Schade, dass ich so verpeilt bin und es vergesse, oder es mehr oder weniger verdränge, weil es einem exorbitanten Planungsaufwand gleichkommt. Da wären wir wieder bei den Exekutivfunktionen. Trotzdem, ich bleibe dran.

Okay, Mobilität. Das ist auch ein Thema großer Mannigfaltigkeit, aber ich habe einfach mal nur darüber nachgedacht, wie es mit Fahrradfahren und ÖPNV aussieht. Das ist wieder kaum pauschal zu beantworten, weil alle Menschen irgendwo anderes wohnen. Bei mir jedenfalls ist es so, dass ich zur Uni mit Fahrrad oder Straßenbahn fahren kann – und ich bevorzuge definitiv das Fahrrad. Die Straßenbahn macht an jeder Haltestelle ein allzu garstiges, schrilles Geräusch. Und Menschen sind da auch drin, manchmal sind die auch laut. Wenn ich sowieso sensibel drauf bin, nehme ich deshalb meinen Kapselgehörschutz mit, mit dem ich aussehe, wie eine, die… keine Ahnung, eine geheime Identität als Sprengarbeiterin hat oder so. Wenn es richtig voll ist, möglicherweise andere Leute mich berühren, steigt meine Tendenz, überstürzt dem Verkehrsmittel zu entfliehen, egal welches und egal wo. Ich wünschte mir, es gäbe eine App oder so, die mir sagt, wann die Straßenbahnen/Busse/Regionalzüge am vollsten sind, damit ich darauf vorbereitet bin oder umplanen kann. Gibt es das?
Vor allem fahre ich auch Fahrrad, weil ich dann Bewegung bekomme und draußen bin. Solange ich ruhige Straßen nehme, ist alles gut. In der Innenstadt ist es eher anstrengend und Berlin-Mitte nach Kreuzberg ist einfach nur hardcore erschöpfend. Ich verstehe oft nicht, was Autofahrer*innen von mir wollen oder wie Kreuzungen funktionieren. Autofahren zu lernen habe ich nicht im Geringsten Lust. Der Aufwand, ein Fahrrad zu besitzen, ist im Grunde überschaubar: Ich muss mich um meine Eigene und die Sicherheit des Fahrrades sorgen; Ich muss ab und zu die Kette ölen und es hin und wieder zur Werkstatt bringen (zumindest ich muss das regelmäßig, weiß auch nicht, was ich da immer mache). Offene Fahrradwerkstätten sind cool, aber ich habe mich noch nie hingetraut, weil mich der Kommunikationsaufwand immer abgeschreckt hat. Überhaupt ist der Kommunikationsaufwand der limitierende Faktor meines generellen Umwelthandelns, vermute ich. Mir gefällt deshalb, dass ein Fahrradladen hier einfach ein paar Werkzeuge an Drahtseilen draußen montiert hat, da kann mensch einfach allein hin und mit einem Imbusschlüssel den Lenker höher stellen oder so, ganz ohne Interaktion. Ich finde das auch gut, weil ich mir kein eigenes Werkzeug kaufen möchte, es gibt ja schon genug davon.

Aktiv werden – da gibt es einige Hürden. Kommt ein bisschen drauf an, wie aktiv mensch werden möchte. Petitionen sind ja sehr niedrigschwellig. Im Zusammenhang dazu fällt mir aber auf, dass ich es oft ziemlich schwierig finde, bei Umweltthemen informiert zu bleiben. Gerade Umweltpolitik checke ich oft überhaupt nicht bzw. Informationen über Politiker und ihre Beziehungen langweilen mich so sehr, dass ich mich nicht darauf konzentrieren kann. Schade eigentlich. Was ich deshalb cool fände: Nachrichten in einfacher Sprache. Das gibt es schon (von Deutschlandfunkt), aber in meiner persönlichen Utopie gäbe es das auch für Umweltpolitik und Umweltthemen allgemein. Oder von wegen „worum geht es in dieser Petition“. Ich bin zwar recht intelligent, aber bei politischen Nachrichten profitiere ich sehr von einfacher Sprache. „Die Leute sind sauer, weil…“ – aaah, jetzt kapier ich das!
Aktiv werden kann Mensch klassischerweise auf Demonstrationen. Und klassischerweise sind Demonstrationen ein überwältigendes sensorisches Gesamtpaket. Gut ist, dass sie jederzeit verlassen werden können, und Gehörschutz ist auch relativ normal. Ich liebe Demos und habe wenig Probleme damit, aber viele andere sicher schon. Deshalb fände ich es total klasse, wenn es so etwas wie einen „stillen Block“ gäbe oder sensorisch angenehme Aktionsformen oder mal wieder eine Silent Climate Parade. Letzteres fand ich total cool: Alle Leute setzen sich Kopfhörer auf, die per Funk zur selben Zeit dieselbe Musik empfangen. Von außen hört niemand etwas, aber die Leute im Demozug tanzen und freuen sich. Und protestieren mit Schildern für mehr Klimaschutz.

Infostände, Flyer verteilen und Unterschriften sammeln mit Greenpeace, das blieb auch nach Kommunikationsseminar eine Herausforderung. Wenn ich wirklich will und wenn ich mich mit dem Thema auskenne – ein Skript habe, wie etwa „Was erwidere ich auf typische Gegenargumente?“ -, dann kann ich das, aber auch nicht sehr lange.
Nicht-kommunikationslastige Aktionen gibt es auch, zum Beispiel Flashmobs, Kunst-Aktionen, Standbilder und auch Guerilla-Gardening (die städtische Ödnis mit etwas bepflanzen). Oder ich bin die, die stundenlang das Banner hält.
In Vereinen oder Gruppen engagiert zu sein erfordert auch eine Menge Fähigkeiten. Wer nicht nur dabeisein, sondern auch Aufgaben übernehmen will, findet sich schnell mit einer anstehenden Email-Korrespondenz wieder. Oder einem Treffen mit einer anderen Organisation. Oder, von wegen, „wer mag das organisieren“. Ich denke dann manchmal, okay, wenn meine Aufgaben so klar wären wie damals das Laborprotokoll für die DNA-Extraktion, dann wäre das was. DNA extrahieren ist einfacher als etwas durch Email-Verkehr zu organisieren. Liebend gerne würde ich durch DNA-Extraktion die Welt retten, aber nein, sie wollen sich alle vernetzen (Sarkasmus :D). Ich will unbedingt etwas tun, will der Gruppe vor allem auch etwas geben, aber ich wünschte, es wären Aufgaben, die mehr zu meinen Stärken passen. Ich habe gerne persönliche Utopien, eine davon ist, einen Verein für neurodivergente Menschen zu gründen, um zusammen Umweltaktionen zu machen, aber ohne „organisieren“, „vernetzen“ und „Finanzen verwalten“.
*über diese Utopie nachgrübel* … okay. Ich seh schon. Vielleicht kann mensch es sich ja beibringen. Oder jemand bastelt ein Laborprotokoll.