Diese Bibliothek ist so wunderschön, denke ich jedes Mal. Gut, die Akustik ist so semi, aber diese Architektur… ich liebe meine Uni. Ich habe gerade eine Klausur geschrieben und den Ausdruck Einfaktorieller Randomisierungsplan benutzt. Heute jährt sich die Atomkatastrophe von Fukushima zum achten Mal. Wie es den Menschen dort wohl geht? Ich war in anderen Jahren an diesem Tag manchmal auf Anti-Atom-Demos und trotz des traurigen Themas fand ich die Atmosphäre so verzaubernd, vielleicht lag es an den japanischen Performancekünstlern. Wenn du keine Partys magst, geh doch einfach auf Demos…

Diesen Beitrag wollte ich schon lange schreiben, aber wie fange ich bloß an?
Nun, ich war so elf Jahre alt oder so. Damals dachte ich viel nach. Hin und wieder dachte ich so lange und intensiv nach, bis ich einen Gedanken gebaut hatte, den ich übertrieben innovativ und krass fand. Das war so alle paar Tage bis Wochen der Fall. Das nannte ich dann „Erkenntnis“. Eine meiner Erkenntnisse war zum Beispiel, dass wir Menschen Fortschritte machen, wenn wir Erfahrungen machen. Vor allem, wenn es neue Erfahrungen sind, wenn wir Dinge zum ersten Mal tun; was liefert uns da schon der Alltag? Nicht viel. Aus dem Vorhersehbaren heraustretende Erfahrungen sind etwas Gutes und Nützliches; wer angepasst nur den äußeren Anforderungen und Normalitätsvorstellungen folgt, sich der Langeweile fügt, verpasst diese jedoch. Zeit also, die Sache selbst in die Hand zu nehmen!, dachte ich und lief, die Schuhe an den Füßen, in einen Weiher.

Ich mag das Thema Exzentrik, ich rede manchmal mit Leuten darüber, dann stelle ich fest, die wissen gar nicht, was ich meine. Der Geologie-Dozent damals meinte mit „Exzentrizität“ das Ausmaß, in dem die Umlaufbahn der Erde um die Sonne von einem Kreis abweicht. Exzentrisch ist die Umlaufbahn, die verschoben ist, die aus der Norm fällt. Exzentrisch ist auch der Mensch, der aus der Norm fällt. Manche verwechseln aber exzentrisch mit extrovertiert. Nein, es gibt auch introvertierte Exzentrikerinnen. Das Phänomen versteht mensch ziemlich gut mit dem Wikipedia-Artikel, oder mit Beispielen. Wie wäre es mit Luna Lovegood aus Harry Potter? „Eine Aura außerordentlicher Spleenigkeit umgab dieses Mädchen…“. Dumbledore geht auch als exzentrisch durch, nur nicht ganz so krass. Ähhhm so viel mehr Fantasy kenne ich nicht, aber exzentrische Wissenschaftler und Künstler gibt es auch manche. Dalí oder Turing oder Hundertwasser, vermute ich. Und ich kenne Exzentriker um mich herum, denn mit ihnen komme ich oft gut klar. Echte Exzentriker sind im Grunde ziemlich selten. Es sind dies Menschen, die barfuß U-Bahn fahren, die bizarre Ernährungsstile haben – oder plastische Fantasiehäuser im Kopf, in deren Zimmer imaginäre Katzen wohnen. Es sind dies Menschen, die erstaunlich begabt sind, die radikale Ökos sind, deren Synästhesie den Zahlen eine Position im Raum zuweist, die immer noch keinen Internetanschluss zu Hause haben und auch nicht wollen, die Kartoffelstampfer sammeln, die ihre Augenbrauen grün färben, so langsam ergibt sich ein Bild, nicht wahr? Menschen, die einfach unkonventionell, skurril, bizarr, anders sind, wahlweise freudig an der Gesellschaft teilnehmend oder eher etwas verschroben.

Ich habe eine offizielle Exzentrikerinnen-Diagnose. Naja, es gibt keinen ICD-Schlüssel dafür, es ist ja keine Krankheit. Aber die Psychologin gab mir einen Text mit dem Titel „Der Exzentrische Stil“, bat mich ihn zu lesen und fragte mich, ob das auf mich zutreffen könnte. Was mich störte war, dass die exzentrischen Menschen in dem Text meist auch ziemlich spirituell waren. Die glaubten an Geister oder übernatürliche Phänomene – Magisches Denken. Hm, ich musste an diesem Punkt wiedersprechen, ich bin nämlich nicht spirituell, im Gegenteil, ich wurde schon als Positivistin bezeichnet (nahh, nur weil ich von Induktion sprach) und habe einen Hang dazu, psychische Phänomene durch Gene und so Kram zu erklären (ist jetzt auch nichts, worauf mensch stolz sein sollte, jeder Ansatz hat so seine Vorteile).

Was auch immer sich die Autor*innen des Textes gedacht haben, nicht alle exzentrischen Menschen sind spirituell. Andere Exzentriker*innen füllen die Magical Ideation Scale aus (einen Fragebogen, der die Tendenz zu Magischem Denken erfasst) und stellen fest, dass sie sich mehr als eine Standardabweichung unter dem Durchschnitt befinden. (Übrigens, ich fand es so cool, diese Skala zu finden – sie war im Anhang einer Masterarbeit über Schizotypie und Kreativität, die ich in einem Copyshop in Budapest im Papierkorb gefunden habe. Eine ganze Masterarbeit, alter!)
Wie auch immer, der Rest der Theorie passte. Ich habe mich schließlich auch schon immer anders gefühlt und ja, manche meiner Ideen oder Texte sind hart seltsam und ja, ich trug immer noch Kleidung mit Löchern drin und zog im Wartezimmer die Schuhe aus, weil der Teppichboden so gemütlich war.

Ich denke, es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen exzentrisch sind. Bei Autisten und AD(H)Slern kommt das oft vor, denn sie verarbeiten die Außenwelt etwas anders. Ich glaube sogar, dass neurodivergente Menschen Dinge wie Normen und Moral häufig grundsätzlich anders verarbeiten. Nonkonform zu sein liegt näher, wenn mensch sich nichts aus Gruppenzugehörigkeiten macht.
Manche sind einfach so exzentrisch, ohne irgendeine Diagnose, es ist einfach ein Persönlichkeitsstil. Mögen andere diese Leute vielleicht für verrückt halten, solange sie ein gesundes Verhältnis zur Realität haben, ist doch nichts Schlimmes daran.

Dann gibt es noch die, die leider kein gesundes Verhältnis zur Realität haben. Leute, deren Ideen wirklich kontraproduktiv und irreal sind, die aber fest an diese glauben. Leute, die so verschroben sind, dass ein Kontaktaufbau von oder zu ihnen schwierig ist. Die Psychologin meinte dazu, das wäre dann der Übergang zur Schizotypen Störung, und das ist dann wieder eine Krankheit. Schizotype sprechen seltsam, ziehen sich seltsam an oder wirken ungepflegt, zeigen unangebrachte oder keine Emotionen, sind misstrauisch und haben Vorstellungen, die von der kulturellen Norm abweichen. Es sei wohl eine abgeschwächte Form von Schizophrenie (die manchmal nicht genau von Autismus trennbar ist). Klingt echt unangenehm.

Was ich mich frage, als jemand, der mit so etwas Probleme hat, wie erkennt man eigentlich, ob die eigenen Gedanken und Vorstellungen tatsächlich eines schizo-artigen realitätsfernen Wirrwars entspringen – oder ob es durchaus berechtigte Hinterfragungen der vorherrschenden Norm sind? Als Pinel damals im Zeitalter der Aufklärung die angeketteten Insassen einer psychiatrischen Klinik von ihren Ketten befreien wollte, hielten ihn die Leute auch erst einmal für durchgeknallt. Es stellte sich aber heraus, dass dadurch viel mehr Leute gesund wurden und entlassen werden konnten. Und nun ja, Beispiele für so etwas gibt es viele. Dinge können im einen Zeitgeist normal sein (Hexenverbrennung, Aderlass, man merkt, ich lese gerade ein Geschichtsbuch), die in anderen Zeitgeisten verrückt erscheinen. Was ist gesunder Menschenverstand, was überwertige Idee? Die Nicht-Bestimmbarkeit des einen wie des anderen ist endlos frustrierend. Oder, öh, wie macht man das? Bestimmt gibt es kluge Philosoph*innen, die sich das schon ausgedacht haben (ich gehe immer davon aus, dass alles schon gedacht wurde). Wäre gut für das mental health der Exzentriker*innen, die dann nicht Sorge tragen müssen, für verrückt erklärt zu werden.

Neulich ging ich eine Straße lang, da sah ich am Weg einen Haufen Sperrmüll. Ich gucke mir Sperrmüll immer an, und fand, boah, dieses Schubladenteil würde sich exzellent für meine Klamotten machen, wenn ich demnächst umziehe und meine Kleiderstange demontieren muss. Aber uhh, es war schwer und groß. Auto und Führerschein hab ich nicht. Ich dachte mir, hm, ich brauche ein Brett mit Rollen dran oder eine Sackkarre oder sowas. Aber im Baumarkt fand ich die Ausleihgebühr für die Sackkarre zu teuer und ein Brett mit Rollen besitzen, das brauchte ich nicht. Mir fiel ein: Hier gibt es doch Gärten – vielleicht hat ja jemand eine Schubkarre, die ich mir ausleihen kann! Der Plan stand. Ich bräuchte sie ja nur eine halbe Stunde. Und ich fand einen Garten mit Schubkarre und klingelte. Die Frau war sehr freundlich und lieh mir ihre Schubkarre aus. Hm, ja, einfach nachfragen, es kann so einfach sein, hehe, aber nachfragen, ob das Teil jemand in die Wohnung trägt, war ich doch zu schüchtern, egal.

Ich sende Sonnenschein an alle Exzentriker*innen, die das hier lesen ☼ inspiriert eure Mitwelt!