Hey. Ich freue mich jeden Tag darüber, dass ich Psychologie studieren kann. Das ist voll das Privileg. So oft habe ich schon Leute getroffen, die sagten: „Woah, Psychologie find ich auch spannend. Hätte ich ja auch gerne studiert. Hat aber nicht geklappt.“ Es ist hart, überhaupt erstmal in den Bachelor zu gelangen – Psychologie ist beliebt. Es tut mir sehr leid, wenn es einer Person nicht möglich ist, die eigentlich echt ein gutes Psycholog*in geworden wäre. Da bräuchte es wirklich einen anderen „Eignungstest“ als den Abischnitt. Gleichzeitig sollte mensch sich vor Augen führen, dass im Studium nicht über die eigenen Emotionen, das mannigfaltige Innenleben einzelner Menschen und den Inhalt von Träumen gesprochen wird. Ich traf so manche Person, die vom Studium enttäuscht war. Um eine Vorstellung zu bekommen, kann mensch sich einfach mal in eine Vorlesung reinzusetzen – an vielen Unis geht das.
Insgesamt ist es sehr forschungsorientiert. Manchmal wird einem unwohl von den Sachen, die mit den armen Ratten und Affen angestellt wurden (hin und wieder tun einem auch die Versuchspersonen leid) und es geht eine Menge um Statistik und Testverfahren. Trotzdem sind die Inhalte in der Regel spannend: Ich glaube, es gibt kaum einen Studiengang, bei dem du Inhalte deiner letzten Vorlesung in den Small-Talk einflechten kannst und die Leute sogar interessiert zuhören!
Für mich ist es quasi der Himmel auf Erden – Varianzanalyse, immer gerne! Wissenschaftstheorie, logistische Regression, within-subject-designs und so, das macht alles total Spaß. Über Gefühle reden und schwammige psychoanalytische Theorien auseinanderzunehmen, ist dagegen nicht so mein Fall (Tiefenpsychologie hat durchaus ihre Berechtigung, es geht mehr um persönliche Präferenzen). Wenn Theorien nicht so richtig empirisch-naturwissenschaftlich sind, finde ich sie eher langweilig. Was nicht heißt, dass sie weniger wertvoll sind; ich habe einfach weniger Zugang dazu.
AD(H)Sler können sich durchaus konzentrieren – wenn sie von einer Sache begeistert sind (und einen guten Psychiater zu haben, hilft auch). 90% des Studiums begeistern mich, weil mich Forschung begeistert. Die 10%, die mich nicht begeistern, sitze ich im Seminar und höre nicht zu, kritzle stattdessen herum oder schreibe nebenbei Gedichte auf meinem Laptop. Das ist dann richtig unangenehm, denn im Studium kann man im Prinzip nicht mal eben „nicht zuhören“, weil alles wichtig ist. Manchmal musste ich sogar das Seminar verlassen, weil das Ankämpfen gegen die Unkonzentriertheit sich so schlimm angefühlt und nicht funktioniert hat. Vorlesungen sind generell angenehmer, ich finde Frontalunterricht irgendwie schön – das sehen andere AD(H)Sler aber sehr anders. Generell ist für die meisten ein Praxisbezug sehr wichtig. Mir geht es so: Ich muss sehen, dass die Inhalte in irgendeiner Weise für mich relevant und nützlich sind. Da ich tendenziell sowieso in die Wissenschaft will, ist Statistik relevant und nützlich. Angewandte Fächer wie Arbeits- und Organisationspsychologie langweilen mich dagegen oft. Aber: Ich kann an meiner Bewertung auch feilen – und mir klar machen, warum Arbeitspsychologie eben doch relevant ist. Für mich ist es relevant, um die Arbeitswelt später besser zu verstehen und einen Einblick in das eher „betriebswirtschaftlich“ geprägte Denken zu bekommen, das viele Menschen ja haben. Führe ich mir das vor Augen, geht das Lernen schon leichter. Motivation aufzubauen ist eine delikate Angelegenheit!
Ich würde gerne mehr Tipps geben für andere, die studieren und AD(H)S haben und sich besser konzentrieren und ihren Kram auf die Reihe kriegen wollen… Aber welche kenne ich überhaupt? *denk denk*
Nachteilsausgleiche kann man durchaus machen, Ärzte kennen das zum Teil. Was auch geht, ist, in der Uni nachzufragen, ob es einen ruhigen Raum gibt, wohin man sich zurückziehen kann (z.B. habe ich am Anfang den Code für den Eltern-Kind-Raum bekommen, im Fall von Reizüberflutung oder plötzlicher überwältigender Erschöpfung, wie sie bei mir manchmal auftritt). Dort kann man auch meditieren. Oder Sport machen – nach 20 Minuten steigt signifikant der Noradrenalinspiegel, sagt mein Psychiater. Das gleicht das AD(H)S bei vielen zeitweise aus (auch die Medis wirken zum Teil noradrenerg). Vielleicht gibt es ja einen Fitnessraum auf dem Campus, wenn das was für einen ist.
Mit Karteikarten ist Lernen draußen möglich: beim Spatzierengehen in einer ruhigen Umgebung, wenn es drinnen gerade nicht geht wegen Unterstimulation oder Unruhe. Dabei hilft es, mit sich selber laut zu sprechen und die Dinge einer imaginären Person zu erklären. Mir hilft auch die App StudySmarter mit ihrem Gamification-Ansatz. Man steigt sogar Level auf und sammelt Punkte, wenn man mehr Karteikarten beantwortet und erstellt! Und man kann tolle „Awards“ verdienen. Bei mir funktioniert sowas sehr gut.
Wenn mich Kommilitonen fragen, recherchiere ich ausführlich und lerne dadurch selbst dazu. Sich regelmäßig in einer Lerngruppe zu treffen, kann zu einem höheren Commitment beim Lernen beitragen. Ich denke, die meisten kennen das: Selbstkontrolle ist eine Sache, die selten und vor allem bei neurotypischen Personen beobachtet wird… Wie kriegen sie ihren Alltag so smooth hin? Wie fangen sie einfach an, ihren Kühlschrank zu putzen und Emails zu schreiben, ohne dass sie jemand zwingt? Erstaunlich! Der Trick mit dem Commitment kann hier helfen: Wenn ich mich verpflichtet fühle, mich regelmäßig mit einer Lerngruppe zu treffen oder ein Bib-Lern-Partner*in habe, ist das viel effektiver, als auf meine kümmerliche Selbstkontrolle zu vertrauen.
Überhaupt, die Bib. Ich bin sehr gerne dort. Wenn mein Studium mir eins beigebracht hat, dann ist es die durchschlagende Wirkung sozialer Normen: Wir tunin der Regel, was andere tun. Und in der Bib herrscht leises, konzentriertes Arbeiten vor. Sie sehen alle so fleißig aus!
Lernen ist übrigens sehr kontextabhängig. Einmal hat man Leute, die mit Taucherausrüstung umgehen konnten, Listen von Wörtern auswendig lernen lassen¹. Dabei war eine Gruppe an Land, die andere unter Wasser! Wenn das Gelernte dann wiedergegeben werden sollte, gelang es besser, wenn die Wiedergabe in derselben Umgebung wie das Lernen stattfand: Diejenigen, die die Wörter unter Wasser gelernt hatten, erinnterten mehr davon, wenn sie auch unter Wasser abgefragt wurden.
Diese Studie fällt mir oft ein, wenn ich an meine Prüfungen denke. Es wäre doch optimal, gleich im Hörsaal zu lernen, in dem ich die Prüfung schreibe! Noch hatte ich die Gelegenheit nicht, aber wenn…
Mir hilft auch Musik zum Lernen, nur allzu emotional darf sie nicht sein. Was binaurale Frequenzen angeht, die die Konzentration erhöhen sollen, gibt es aktuell keine Evidenz zur Wirksamkeit. Dennoch finde ich es angenehm, dazu zu lernen (und der Placebo-Effekt ist nicht außer Acht zu lassen!). Ich habe mal gelesen, dass es AD(H)Sler gibt, sie in der Schule weißes Rauschen hören, um sich besser konzentrieren zu können. Das wird vermutlich Geschmachssache sein.
Ich fange übrigens immer irre früh mit dem Lernen an und lerne quasi den gesamten Inhalt des Moduls auswendig. Das hat bisher immer zu klasse Ergebnissen geführt. Aber natürlich kommt es auf die eigenen Ansprüche/die Wunschnote an, wie sehr sich das lohnt. Durch den frühen Start komme ich gut mit nur wenigen Lernstunden pro Tag zurecht, auch direkt vor der Klausur. Das mache ich bewusst so, denn lange kann ich mich nicht am Stück konzentrieren, egal wie nah die Klausur rückt. Generell reagiere ich mit Verrücktwerden auf Stress. Daher habe ich mich entschieden, zwei Semester länger als die Regelstudienzeit zu studieren. Ich bin mit der Entscheidung sehr zufrieden, weil ich einfach ein absoluter Nerd bin: Ich liebe das Studium und die beinahe kostenlose und hochqualitative Wissensvermittlung an der Uni – und setze mich in der Zeit, die ich nun habe, auch in spannende Philosophievorlesungen!
AD(H)S ist eine extrem heterogene Sache. Wenn du nach Inspirationen für dein Studium suchst, wirst du also vielleicht ganz andere Strategien brauchen als die, die ich beschrieben habe. Aber inzwischen gibt es ja viele Studis mit Neurodiversität und ebenso viele Erfahrungsberichte 🙂 Viel Erfolg!
¹Godden, D. R., & Baddeley, A. D. (1975). Context‐dependent memory in two natural environments: On land and underwater. British Journal of psychology, 66(3), 325-331.
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