Während ich mich in letzter Zeit mehr mit Klimakommunikation beschäftigt habe, kam immer wieder ein Gedanke auf: Im Grunde laufen viele dieser Mechanismen des Nicht-Handelns, Leugnens, Herunterspielens und Verschweigens auch im Zusammenhang mit unserer eigenen Gesundheit ab. Nicht bei allen Personen, natürlich. Aber häufig, wenn es z.B. um das Absetzen von Tabak und Alkohol oder um Gewichtsverlust geht. Ich wollte ein Buch über Gesundheitspsychologie lesen, bevor ich diesen Text schreibe, aber ich vermute, dass ich dann überhaupt nicht dazu kommen würde. Daher gerne korrigierend kommentieren!
Zum Beispiel das Rauchen: Die Wissenschaft ist sich einig bezüglich des Zusammenhangs mit Lungenkrebs. Die Wahrscheinlichkeit, persönlich betroffen zu sein, mag nicht ganz so sicher sein wie bei der Klimaerwärmung. Ich würde dennoch eine Parallele ziehen, denn Raucher rechtfertigen manchmal das Weiterrauchen damit, dass es ja so unsicher sei, ob die Gefahr tatsächlich eintreffen werde. Das machen Klimaskeptiker und andere Menschen auch: Die Unsicherheit als Ausrede nutzen, um das Verhalten nicht zu ändern.
Dabei haben wir in anderen Bereichen des Lebens kein Problem, auch bei großen Unsicherheiten zu Handeln. Ein alltägliches Beispiel ist die Haftpflichtversicherung. Es kann sein, dass wir sie nie brauchen werden, und doch schließen die meisten eine ab. Im Vergleich dazu treten die Gefahren durch den Klimaerwärmung ziemlich sicher ein – da scheint es mir viel rationaler, Klimaschutz zu betreiben, als eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Auch konservative Amerikaner verhalten sich laut George Marshalls Buch „Don’t even think about it“1 widersprüchlich, wenn es um unsichere Risiken geht. Zwar werden beim Klimaschutz nur die Unsicherheiten betont, andererseits müssen Militärausgaben priorisiert werden „selbst wenn es nur eine 1%-ige Chance auf einen Konflikt gibt“ (sinngemäßes Zitat). Das zeigt, dass nicht die Unsicherheit das Problem ist, sie ist nur ein willkommener Strohhalm für eine Ausrede.
Die „climate silence“ ist ein weiterer Punkt, den Marshall anspricht: Es wird sehr wenig über das Klimaproblem gesprochen, obwohl es so eine hohe Relevanz hat. Das ist auch unter Freunden und Familie so. Ich finde das im Vergleich mit Covid besonders erstaunlich: Während der Pandemie gab es täglich in egal welcher Situation Gespräche darüber. In einer Arztpraxis und einer Postfiliale habe ich sogar schon Zettel gesehen, auf denen stand „Bitte lasst uns über etwas anderes als Corona sprechen“. Pandemien gehen vorbei, Klimaschutz dagegen ist ein drängendes und eher noch wichtigeres Problem. Warum dann das vergleichsweise ausgeprägte Schweigen im Alltag?
Trotz nicht allzu viel Erfahrung in dem Bereich kam mir etwas in den Sinn, was ich zum Umgang von Ärzten mit übergewichtigen Patienten gelesen habe2: Viele wollen das Übergewicht gar nicht mehr ansprechen. Könnte es einen gemeinsamen Grund für dieses Nicht-Ansprechen geben? Schließlich sind beides Probleme, die z.T. sehr hartnäckig und komplex sind, die etwas mit der Zuweisung von persönlicher Verantwortung zu tun haben und die eine unter Umständen unbequeme Verhaltensänderung implizieren. Vielleicht ist die Befüchtung, dass das Ansprechen die Stimmung killt, die Beziehung verschlechtert und obendrein nichts zur Lösung des Problems beiträgt. Das nur mal als Vermutung.
Dann das Nicht-Handeln – selbst wenn man Verantwortung übernimmt und das Problem als real anerkennt, können einen psychologische Barrieren an der Verhaltensänderung hindern. Ich meine hier übrigens nicht nur individuelles Verhalten wie den Verzicht aufs Auto, sondern auch politisches Handeln – viele Umweltpsychologen betonen zurzeit, dass dieses wichtiger ist, als das Verhalten im Privaten.
Menschen prokrastinieren gerne Dinge, die ihnen unangenehm sind. Das kann zum Beispiel die Form annehmen von „nächste Woche fange ich an – nein, nicht jetzt und nicht heute…“, wenn es z.B. um gesunde Ernährung oder Sport geht. Im Klimaschutz gibt es oft Aussagen wie „bis 2030 sind wir CO2-neutral“ (oder ähnliche Formulierungen). Kein gutes Bild für Leute, die gern unangenehme Dinge aufschieben (das ist wohl eher die Mehrheit…). Jede Veränderung beginnt im Hier und Jetzt und große Vorhaben müssen früh umgesetzt werden. Das weiß jeder, der*die mal eine große Hausarbeit geschrieben hat. Sinnvoller ist daher, sich schon für diesen Moment ein Ziel zu setzen wie beispielsweise: Dieses Jahr schaffen wir 20% Emmissionsreduktion, nächstes Jahr auch 20%.
Es kann einen etwas hoffnungslos machen: Viele Menschen versagen privaten Dingen wie ihrer Gesundheit oder dem Lernen für Prüfungen, ihr Verhalten zu ändern oder ins Handeln zu kommen. Zum Teil, weil sie ihre eigenen Ausreden für so überzeugend halten und sie nicht als Ausreden erkennen. Manchmal schaffen wir es einfach nicht, das zu tun, was für uns am besten wäre. Wie können wir das dann für ein Problem schaffen, das weniger direkt mit unserem eigenen Handeln und Wohlbefinden zu tun hat?
Andererseits gibt es Tricks und Befunde zu Gesundheitspsychologie und Prokrastination. Ich frage mich, ob man sie modifizieren und für die Klimakommunikation einsetzen kann. Mit einer geschickten Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen des Handelns vs. Nicht-Handelns kann z.B. der lähmende Moment der Prokrastination bewältigt werden. Natürlich ist es nicht immer so einfach, gerade wenn noch starke Gewohnheiten und andere Barrieren zum Verhalten beitragen! Aber da dysfunktionales Gesundheitsverhalten schon sehr lange erforscht wird – länger als Umweltschutzverhalten – gibt es sicher noch viele weitere Techniken der Gesprächsführung, die ich nicht kenne. Da ich keine klinische Psychologin bin, freue ich mich über Kommentare. Ich könnte mit meinem Vergleich auch danebengegriffen haben, wenn nicht ergeben sich vielleicht ein paar interessante Transfer-Möglichkeiten.
1 Marshall, G. (2015). Don’t even think about it: Why our brains are wired to ignore climate change. Bloomsbury Publishing.
2 ich glaube auf Wikipedia 🙂
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