Ist Durchdrehen die adäquate Reaktion auf unsere Realität?
Nein, jetzt echt: Wie kann ich mich weiter meinen tausend kaleidoskopartigen Projektfitzeln widmen, meinen schnöden Emotionen, wo da draußen die Welt so langsam unbewohnbar wird? Ich meine das ganz ernst: Wäre es nicht normal, verrückt zu werden? Ist es nicht eher verrückt, all das zu verdrängen? Normal ist nicht unbedingt definiert als das, wonach sich die Mehrheit verhält. Vielleicht ist es gerade der kollektive Wahnsinn, die Pathologie der Normalität.

Wie können wir das bloß herausfinden, wer dem Wahn, wer der Realität näher steht, wessen Gedanken die vernünftigsten sind? Können wir das überhaupt? Wie sieht es denn mit dem Umweltschutz aus: Die Nicht-Normalität des kollektiven Umwelt-Nichtbewusstseins? Haben die Spinner, die vielleicht keine Spinner sind, doch manchmal recht? Wenn sie recht haben, sind sie dann in der Pflicht, alle anderen zu überzeugen? Wie könnte das sein, wo doch niemand weiß, was vernünftig ist, was realistisch-funktionales Denken? Oder weiß man es doch? Woran misst man es dann? Und selbst wenn das alles irgendwie klar ist… ähh. Ich fürchte, Menschen sind trotzdem unvernünftig und irgendwie geht nicht alles so logisch zu, wie ich das gerne hätte… Menschen sind keine Vulkanier.

Ich mache mir deswegen darüber Gedanken, weil mich, wie so mache Umweltbewusste (ich nenn mich jetzt einfach mal so), ab und zu ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit überfällt. Gerade habe ich gelesen, dass (laut einer Studie des Umweltbundesamtes) die Treibhausgasemissionen seit 2005 im Bereich Ernährung stark angestiegen sind, wegen des hohen Fleischkonsums. Im Bereich Mobilität auch etwas, wegen mehr Flügen (die werden ja auch hardcore subventioniert) und Autos, deren Emissionen kaum runtergehen. Das treibt mich ziemlich um. Ich meine, es ist einerseits ein Ding von Selbstwirksamkeit. Da habe ich beschlossen, nicht mehr zu fliegen, und Fleisch esse ich sowieso nicht, generell wenig tierische Produkte. Nicht nur das, ich spare auch Energie und erzeuge möglichst wenig Müll. All die Verhaltensänderungen, die das mit sich bringt: Klar, das ist nicht einfach, denn ich erlebe dadurch eine Menge Situationen, in denen ich nicht verstanden werde und mich rechtfertigen muss. Und wenn ich dann solche Statistiken sehe und begreife, meine Mühen, dass ich mich oft unfreiwillig distanziere und zum Außenseiter mache, werden nicht belohnt. Das ist so unglaublich frustrierend. Die meisten Menschen scheinen nicht zu verstehen, warum ich mir so eine Mühe gebe und scheinbar Umstände auf mich nehme, die gar nicht nötig wären. Ich wünschte mir wirklich, sie könnten in diesem Moment in meinen Kopf hineinsehen. Es gibt Dinge, die mir wirklich wichtig sind. Klimaschutz, zum Beispiel. Weil ich nicht in fünfzig Jahren einen Planeten wie aus einem Science-Fiction-Film bewohnen will. Von eventuellen Kindern ganz zu schweigen. Weil ich sehr dankbar bin, mir um meine Lebensgrundlagen gerade wenig Gedanken machen zu müssen. Weil ich den Frieden liebe. Weil ich sensibel bin, und weil ich die Natur liebe, und weil ich Angst habe, wenn das Land in dem ich lebe, in eine Krise gerät, dass Menschen dann ihre Vernunft verlieren. Angst, dass ein so fröhlich-freies Philosophieren, Wissenschaft und zaghafte Persönlichkeitsentwicklung dann nicht mehr sein können, weil existenziellere Dinge anstehen.

Ich frage mich: Habe ich zu viel Angst? Oder ist es richtig, Angst zu haben – adäquate Risikowahrnehmung? Aber was mache ich mit meiner Angst, die niemand teilt? Ich fühle mich so unverstanden, weil das, was mir wichtig ist, so wenigen anderen wichtig zu sein scheint. Es gibt so viele Weltbilder und Einstellungen, wie es Menschen gibt, und das ist gut und wunderbar. Ich kann auch nicht mit einem Megaphon und einem Schild um den Hals losziehen und die Menschen missionieren, schon allein, weil das niemals funktioniert. Aber ich weiß auch nicht, wie ich mit diesem Dilemma umgehen soll, wie ich damit umgehen soll, dass so wenige Menschen die Dinge, auf die Art wie ich es tue, zu Ende denken und bereit sind, ihr Verhalten zu ändern. Vor allem will ich mich verstanden fühlen. Es fällt schwer, weil ich aushalten muss, dass ich die Dringlichkeit der Umweltprobleme sehe. Im Meer treibt ein Plastikmüllstrudel von der Größe Mitteleuropas und viele Strände bestehen zu einem großen Teil aus Plastik… warum berührt das andere nicht mehr? Verdrängen wir es, wenden wir Bewältigungsstrategien an, um uns keine Sorgen machen zu müssen? Sind wir unfähig, negative Emotionen auszuhalten? Warum, das ist doch unvernünftig, oder? Inseln verschwinden im Meer, und das passiert jetzt, auf diesem Planeten… Bienen verenden, Gletscher schmelzen, Flüsse in China färben sich in den aktuellen Modefarben, die aus den Textilfabriken kommen. An dieser Stelle eine Frage an die Person, die das liest: Wenn du Nachrichten über Umweltzerstörung hörst oder liest, welche Gedanken und Gefühle gehen dir durch den Kopf? Sind es negative Gedanken? Ohnmacht? Angst oder Wut? Teilnahmslosigkeit? Jedes Gefühl ist legitim, manche helfen uns aber mehr, adäquat zu handeln… ich fände es interessant zu wissen, welche das sind. Vielleicht sind es ja auch positive Gedanken und Gefühle, die uns mehr motivieren. Schade nur, dass Lösungen, Menschen, die schon anfangen, etwas Gutes in die Welt zu setzen, im Vergleich zu Katastrophenszenarien wenig in den Medien präsent sind. Dabei wäre das sehr schön, denn dann hätten wir eine Inspiration, zu beginnen: Ach ja, dann mach ich es einfach wie die da… Geht doch alles. Auch mit dem Klimawandel ist es so: Solange uns keine Lösungen vermittelt werden, sind wir hoffnungslos, wissen nicht, was wir tun können – und leugnen das Problem oder geben die Verantwortung ab. Aber das wird uns nicht helfen. Die Lage ist keinesfalls hoffnungslos, denn es gibt ganz konkrete Dinge, die wir tun können, die nicht einmal schwer sind. Eines der schönsten Beispiele, wie ich finde, ist der Gemeinschaftsgarten. In der Wahrnehmung wiegen Verluste und Kosten eines Verhaltens schwerer als Gewinne. Trotzdem, machen wir uns den Gewinn bewusst, den wir erhalten, wenn wir einfach schonmal anfangen, uns privat oder in einem Projekt für eine klimafreundliche Zukunft zu engagieren: Wir müssen das Problem nicht mehr verleugnen oder die Verantwortung abgeben. Wir können ihm mit klarem Blick ins Gesicht sehen und uns sagen: Hallo Problem, ich gehe mit dir um. Das ist keine Apathie, das ist irgendwo erwachsen. Und gibt uns Sinn. Fühlt sich zumindest für mich sehr gut an. Bei anderen Dingen ist es genauso. Zum Beispiel bei unserer Gesundheit: Nehmen wir an, wir leiden an einer schweren Krankheit. Wenn wir nicht wissen, dass und wie wir uns helfen können, werden wir wohl eher die Hoffnung verlieren, den Gedanken, dass wir Einfluss auf unser Schicksal nehmen können, von uns weisen und uns tatenlos in unser Leid fügen. Erfahren wir aber von einer Person, die gerade diese Krankheit durch hartes und geduldiges Training überwunden hat, sehen wir: Es geht! Wir müssen uns dem nicht fügen. Wir können einfach anfangen. Geduldig, ausdauernd sein, wie wir es eben tun würden, um wieder gesund zu werden. Leider gibt es niemanden, der uns für umweltschädigendes Verhalten bestraft oder für umweltschützendes Verhalten belohnt. Noch braucht es ein hohes Maß an Idealismus. Weil den nicht viele haben, bin ich oft enttäuscht. So viele Lösungen, die nur umgesetzt werden müssten!

Nun ja, ich kann den Menschen kein neues Bewusstsein einpflanzen, kann sie nicht hypnotisieren, damit ihnen die Umwelt wichtig ist und sie umweltschützend handeln. Das würde ich mir auch gar nicht wünschen, das zu können, denn es wäre dann ja nur gerecht, wenn jeder das könnte. Und es gibt ja eine Menge Leute, die sagen „wacht auf, Leute, kommt auf meine Seite“ und meinen damit, dass irgendein Gott uns weisen soll oder man nur Rohkost essen sollte oder wir uns vorsehen sollten, weil die Außerirdischen kommen… Verschwörungstheorien halt.
Manchmal frage ich mich übrigens, woher ich eigentlich weiß, dass ich keiner Verschwörungstheorie anhänge. Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, würden das ja auch nicht einsehen. Tja, es bräuchte so einen Lackmus-Test für objektive Wahrheiten, aber das wäre auch irgendwie unsinnig, weil Umweltschutz irgendwo auch was Normatives hat (könnte dem Universum ja egal sein, was mit der Erde passiert). Sehr verwirrend jedenfalls, und gut, das mal durchdacht zu haben, aber hm. Ja, so ein Idealismus, schön und gut, aber ist das nicht auch nur ein Gedankenkonstrukt?

Jedenfalls weiß ich, dass ich nur begrenzt Einfluss habe. Was okay ist. Denn jeder Mensch kann erstmal nur im eigenen Umfeld etwas verändern. Allerdings lässt mich diese Dringlichkeit der Umweltprobleme, die ich wahrnehme, ganz selten auch mal denken: Warum versuchst du nicht ALLES, was geht? Warum verschreibst du dich nicht komplett dem Umweltschutz? Warum machst du überhaupt andere Dinge, die nichts mit dem Umweltschutz zu tun haben?
Ja, ich weiß, das klingt nicht sehr gesund. Eher… ich weiß gar nicht, ein bisschen zwanghaft? Wo hört Dringlichkeit auf und fängt die überwertige Idee an? Was ist ein gesunder Umgang mit alldem? Brauche ich meinen Idealismus oder braucht er mich?
Irgendwo erhoffe ich mir Tipps von anderen Umweltschützenden… die damit umzugehen gelernt haben… oder vielleicht lernt man das nie und diese Gefühle gehören dazu. Vielleicht lassen gerade sie uns aktiv sein.

Manchmal erschrecke ich mich selbst mit einer heftigen Abneigung gegen die Irrationalität der Menschen. Alle Menschen sind irgendwo irrational, aber manche können sehr viel über die Gesellschaft entscheiden, Politiker zum Beispiel. Vorweg, Respekt für diesen anstrengenden Job, aber zugegeben, manche Leute regen mich auf. Ich frage mich, auf welcher Grundlage treffen diese Politiker ihre Entscheidungen? Hören sie denn gar nicht auf die Wissenschaft? Bei Glyphosat zum Beispiel… Oder Braunkohle… Ich mein, ich kann mir schon denken, dass das Problem irgendwie ist, dass Konzerne teils mächtiger sind als Staaten, aber so richtig begreife ich das doch nicht. Sind (manche) Politiker jetzt dazu da, zu socializen, ihren privaten Bedürfnissen (nach Macht oder was auch immer) nachzugehen, aufgrund unbegründeter Ängste zu entscheiden und ihre Gruppenkonformität zu bewahren? Oder dazu, rationale Entscheidungen zu treffen? (Kann an dieser Stelle sein, dass ich aus zu viel Frust diesen Menschen zu wenig zutraue…) Ich glaube, Mr. Spock wäre ein guter Politiker. Er würde, unbeeinflusst von anderen, nach Logik und wissenschaftlichen Fakten handeln, die ja nun sagen, dass Kleinbauern zu fördern und mit der Essensverschwendung aufzuhören, mehr bringt als pesitziddurchtränkte Monokulturen. Er würde erkennen, dass man umso weniger Angst vor fremden Kulturen hat, je mehr Kontakt man mit ihnen hat (sagen psychologische Studien auch). Und, dass es mit mehr Gerechtigkeit allen besser geht. Solche Dinge.

Ich fürchte aber, ich bin zu naiv. Spock ist sehr cool, aber er ist halb Vulkanier. Menschen dagegen sind irrational. Ich weiß nicht, irgendwie find ich diese unlogischen Entscheidungen von Menschen extrem verwirrend und frustrierend, hätte ich weniger Stimmungsschwankungen und spitzere Ohren, wäre ich sicher ein guter Vulkanier.
Es ging eigentlich um etwas anderes, aber ich finde keine Lösung, nicht so richtig jedenfalls. Meine Intuition sagt mir, dass ich zwar meinen Idealismus ausleben sollte, dass aber ohne Selbstfürsorge gar nichts geht. Dazu gehört auch, sich nicht zu vielen negativen Emotionen auszusetzen. Hin und wieder der Realität ins Auge zu blicken und mal so richtig zu verzweifeln gehört aber dazu! Ich glaube, das ist gut und fruchtbar. Am besten natürlich, wenn mensch es teilt. Deshalb werde ich, wenn es sich ergibt, mal ein paar Mit-Ökos fragen, wie umzugehen mit solchen Gedanken.